der Film

Die Geschichte des kommunistischen Traums erzählt an Hand der Geschichte des „Forteresse Rouge“, dem Haus meines Großvaters.
Es war einmal vor langer, langer Zeit… So fangen Märchen an und erzählen von Königen und Königinnen und von Schlössern…

Meine Großeltern waren nicht König und nicht Königin. Ihr „Schloss“ war ein Haus. Dieses Haus stand in Schaarbeek, einem Vorort von Brüssel.

Es war Ende der 1920er Jahre als sie die immense Villa aus rotem Backstein in Brüssel bauen ließen und dort mit ihren Kindern einzogen. Die Leute aus der Nachbarschaft nannten das Haus „La Forteresse Rouge“, die Rote Festung. Wegen seiner Erscheinung.

Obgleich selbst sehr reich, waren meine Großeltern überzeugte Kommunisten – vor allem aber Humanisten. Ihr gesamtes Vermögen widmeten sie ihren Idealen.


Schon 1933 nachdem Hitler die Macht ergriff, empfing das Haus Flüchtlinge aus Deutschland – linke Intellektuelle und Künstler und auch Juden. Ab 1936 folgten Kinder aus Spanien, Opfer des Bürgerkriegs. Jeden Abend saßen mindestens zwanzig Gäste mit am großen Tisch. Der Name des Hauses stand nunmehr für seinen Inhalt.

Im Jahre 1941 wurde mein Großvater, angesehene Persönlichkeit der kommunistischen Bewegung, von der Gestapo festgenommen und schließlich im KZ Mauthausen ermordet. Die ganze Familie engagierte sich im antifaschistischen Widerstand, wurde verhaftet und in verschiedene KZs verschleppt.


Nach dem Krieg nahm meine Großmutter ihr Engagement wieder auf. In ihrem Haus empfing sie jeden, der Unterschlupf benötigte. Überdies wurde sie zu einer Vorreiterin der Frauenbewegung. Ihre Kinder traten der kommunistischen Partei bei.

Im Jahr 1955 zog mein Vater nach Ost-Berlin, um dort eine Ausbildung als Dokumentarfilmer zu machen. Während er dort war wurde die Mauer gebaut. Erst 1965 kehrte er zusammen mit meiner (ostdeutschen) Mutter nach Brüssel zurück. Sie zogen in das „Forteresse Rouge“ ein, das damals noch immer ein wichtiger Ort der kommunistischen Bewegung war. Dort bin ich zusammen mit meinen Brüdern und meiner Schwester aufgewachsen.

Meine Mutter und Tante demonstrieren für das Recht auf Abtreibung – Meine beide Büder und ich am 1. Mai in Brüssel

Als Niemanden in der Familie mehr in der Lage war die enormen Kosten für das Haus zu bezahlen, sahen wir uns1996 gezwungen, das „Forteresse Rouge“ zu verkaufen.

Eine faszinierende Parallele: Das „Forteresse Rouge“ wurde zu Hochzeiten des Kommunismus gebaut, spielte eine wichtige Rolle im antifaschistischen Widerstandskampf und später in der kommunistischen Bewegung. Wenige Jahre nach dem Fall der Mauer, dem Ende der Sowjetunion und der Auflösung der kommunistischen Partei wurde das dasselbe Haus an Virgin verkauft, ein multinationales Großunternehmen.

Das Leben des Hauses war stets mit den Geschehnissen der Welt verbunden: Mit dem Kommunismus, dem Nachkriegsstalinismus, mit der Gründung der Chinesischen Volksrepublik (1949), den Aufständen in Budapest (1956) und Prag (1968) aber auch mit der kubanische Revolution (1959), mit dem Vietnamkrieg (1955-1975), der Präsidentschaft von Allende in Chile (1970 bis 1973), dem Bau und dem Fall der Berliner Mauer (1961-1989) usw.

2017 werden genau 100 Jahre vergangen sein seit der russischen Revolution, jenem Moment in der Geschichte also, den man als Beginn der kommunistischen Ära bezeichnen kann. Was ist heute davon geblieben…?

Über Begegnungen mit meinem Vater und seinem letzten überlebenden Bruder, meinem Onkel, und mit Hilfe von internationalen, persönlichen, und auch Familienarchiven werde ich der Geschichte dieses Ideals, das die Welt so sehr bewegt hat, nachgehen – nicht akademisch, sondern fast instinktiv, sehr persönlich und emotional.

Als Filmemacher will ich ein Erzähler sein. Meine Erzählung handelt von einem Traum, aber auch von einer Realität, die das zwanzigste Jahrhundert bewegt und erschüttert hat. Meine Großeltern waren Kommunisten aus tiefster humanistischer Überzeugung. Dasselbe gilt für meinen Vater und meinen Onkel. Mein Vater sagte einmal zu mir: Könnte man ihm überzeugend nachweisen, dass Humanismus und Kommunismus nicht miteinander zu verbinden sind, dann würde er sich ohne zu zögern für den Humanismus entscheiden.

Mein Onkel Walter (links) und mein Vater Johan (rechts)

Mein Vater und mein Onkel haben nie aufgehört, an eine bessere Welt zu glauben. Auch heute noch sind sie der festen Überzeugung, dass man tatsächlich etwas verändern kann, in dem man handelt. Ich habe bei ihnen nie einen Hauch von Bitterkeit beobachten können. Weder ob des Preises, den sie bezahlten, noch ob des Scheiterns jenes Ideals, für das sie ein Leben lang gekämpft haben. Sie sind keine Theoretiker. Sie haben wohl nie „Das Kapital“ gelesen. Aber Kommunisten, das sind sie. Das haben sie gelebt und das können sie bezeugen – mit Leidenschaft, mit Wut, mit Humor…
Nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Ostblocks hat sich die kommunistische Bewegung verflüchtigt. Die Bezeichnung Kommunist war nicht mehr tragbar. Ohne sich an eine verkrustete Vergangenheit festzuklammern, haben viele Menschen wie mein Vater aber nichts von ihrer Überzeugung aufgegeben. Egal ob wir es wollen oder nicht, egal ob wir es positiv oder negativ reflektieren, es ist wichtig, dass wir uns mit dem Kommunismus auseinandersetzen. Es ist mir wichtig, gemeinsam mit meinem Vater und meinem Onkel zurückzuschauen, um besser zu verstehen was vor uns liegt.
Ich will meinem Vater vor allem diese eine Frage stellen: Papa, warum bist DU Kommunist?

« La Forteresse Rouge », heute

Geschichte wiederholt sich und das Thema ist heute aktueller denn je. Was würden meine Großeltern heute tun? Damals haben sie, bevor der Rest der Welt das Problem überhaupt zu erkennen in der Lage war, Flüchtlinge, Opfer des Faschismus, aufgenommen und unterstützt. Und heute? Was wäre, wenn die Forteresse Rouge heute immer noch Forteresse Rouge wäre?

So soll ein epischer und lebendiger Film entstehen: Begegnungen, die zuweilen eher Konfrontationen sind, dynamisch gedreht, weit entfernt von den gepflegten und gestellten Interviews der meisten Geschichtsfilme. Dort, wo es notwendig und sinnvoll ist, kurze Erklärteile aus Archivmaterialien, die mit Zeichentricksequenzen kombiniert werden

Ich möchte diesen Film machen, um damit etwas von dem Geschehenen zu erhalten und ein wenig zu dieser Auseinandersetzung beizutragen. Ich möchte Antworten finden darauf, was es heißt Kommunist zu sein, was von dem Ideal des Kommunismus noch übrig ist. Ohne didaktisch zu werden, ohne zu predigen, aber mit einer gesunden Portion Humor und Selbstironie.
Die Geschichte des Hauses in der Plaskyallee in Brüssel ist nicht nur die Geschichte dreier Generationen die dem kommunistischen Traum nachgingen. Sie erzählt weitaus mehr – über Belgien, über Deutschland, über Visionen und Taten, über Möglichkeiten und Grenzen, über Gestern und Heute! Es ist eine Geschichte, die unbedingt erzählt werden sollte – und das will ich tun, sonst wird sie nie erzählt.

1941, kurz vor der Verhaftung meines Grossvaters – 1996, alle Geschwister versammelt zum Verkauf des Hauses